Heilet die Kranken

Nach dem Neuen Testament gehört das Heilen integral zum Missionsauftrag der Kirche. Leider kapriziert sich die evangelische Kirche auf das Reden. Sie betreibt zwar Diakonie und medizinische Therapie, aber das Gebet für die Kranken ist ihr suspekt. Das hat Gründe, weil auf diesem Gebiet viel Unfug betrieben wird. Es werden Versprechungen gemacht, die sich nicht bewahrheitet haben. Trotzdem gilt: Abusus non tollit usus. Der Missbrauch hebt den (rechten) Gebrauch (des Gebets für die Kranken) nicht auf.

Was gehört zum rechten Gebrauch des Gebets für die Kranken? Der Brief des Jakobus gibt uns eine Anleitung: «Ist jemand unter euch krank, so rufe er die Ältesten der Gemeinde (die Kirchgemeinderäte) zu sich. Die sollen ihn im Namen des Herrn mit Öl salben und über ihm beten. Und das Gebet des Glaubens wird den Ermatteten retten, und der Herr wird ihn aufrichten. Und wenn er Sünden begangen hat: Es wird ihm vergeben werden.» (5, 14–15)

Folgende Verhaltensregeln haben sich in der Praxis bewährt:

Wir machen keine Versprechungen. Wir wissen nicht, was Gott mit einem Menschen für Pläne hat. Wir stellen auch keine Bedingungen (Busse, Glaube usw).
Wir verwenden eine gebundene, liturgische Form des Gebetes. Das sog. freie Gebet artet gern in religiöses Geschwätz aus. Wir predigen die Hilfesuchenden nicht an.
Das Salben mit Öl muss geübt werden.
Es ist sinnvoll, die Salbenden liturgisch zu kennzeichnen (farbige Talare oder Stolen). Die äusseren Formen heilen nicht, aber sie nehmen den Salbenden und den Hilfesuchenden die Angst vor dem Ungewohnten.
Estella Korthaus hat Erfahrung in der Einrichtung von Salbungsgottesdiensten. Man kann sie anfragen über mail@estellakorthaus.de.

Für mich selber habe ich die Regel aufgestellt, dass ich ausser den Spesen kein Geld annehme für das Gebet mit den Kranken. Andere mögen das anders halten.
In allem gilt im Salbungsgottesdienst: Der «Erfolg» ist nicht von uns abhängig; die Hilfesuchenden sollen nicht bedrängt werden; weder psychischer noch physischer Druck ist therapeutisch oder gar christlich.

Es ist nicht meine Meinung, dass es sich beim Salben um eine zusätzliche Aufgabe für die Pfarrer handelt. Im Gegenteil, das Salben soll von Gemeindegliedern (oder den Ältesten) ausgeübt werden. Die Salbenden müssen nicht besonders fromm sein. Sie müssen aber bereit sein, das Salben zu lernen (möglicherweise von den Pfarrern). An vielen Orten, wo Pfarrer und Kirchgemeinderat mit Ablehnung auf die obigen Vorschläge reagierten, gehört der Salbungsgottesdienst heute zum Courant normal der Gemeindearbeit.

Lit.: Hollenweger W.J.: Der Klapperstorch und die Theologie / Die Krise von Theologie und Kirche als Chance. Darin besonders das Kapitel über das Salben, das mit einem Zitat von Martin Luther überschrieben ist «Die Guttat zu ölen».
(Bergdietikon: Metanoia-Verlag, 2003/4)

1: Kommentar von Martin – 09.12.2009

Diese Schrift ist in der Tat eine wichtige. Was aber geschieht mit der Gabe der Heilung? Gibt es sie noch? Wie Sie sagen, wird damit viel Scharlatanerie betrieben, und viele der soganannten Glaubensheiler in Amerika wurden enttarnt und ihre Heilungen als Humbug entlarvt. Man fragt sich als Christ, ob es noch mehr gibt als das einfache Gebet. Dieselbe Frage ergibt sich natürlich in bezug auf die anderen Gaben… Mißbrauch hebt guten Gerbauch nicht auf, aber wo findet man den guten Gebrauch heute?

2: Kommentar von Oscar Rufer – 26.08.2010

Darf ich einleitend erklären, warum ich erneut einen langen Beitrag zum Blog «Heilet die Kranken» schreibe. Als «kleine Selbstanalyse», sozusagen, vorweg. Dazu ein Zitat aus dem Buch «Wie man Freunde gewinnt», von Dale Carnegie, erschienen l938:»Sigmund Freud sagt, dass alles, was wir tun, zwei Motive hat: das sexuelle Motiv und das Verlangen nach persönlicher Geltung. Professor John Dewey, Amerikas grösster Philosoph, drückt sich ein bisschen anders aus: «Der stärkste Trieb in der menschlichen Natur ist der Wunsch, bedeutend zu sein!»
Also bitte um Verzeihung für mein Geltungs-bedürfnis!

Der Dominikaner Michael Marsch geht in seiner Kleinschrift mit dem Titel «Heilen – Auftrag der Kirche?» aus dem Kanisius Verlag dem Thema «Heilet die Kranken» auf den Grund.Er stammt aus einer Arztfamilie und ist Diplom-Psychotherapeut und Theologe. Ich kann nicht die ganze Kleinschrift zitieren, aber die zusammenfassenden Fragen geben bereits Antworten darauf. Was hat die Kirche aus diesem Auftrag gemacht? Warum hat sie ihn jahrhundertelang vernachlässigt? Warum sind heute für Heilung an Leib und Seele ausschliesslich der Arzt und der Psychologe zuständig? Was bedeutet Heilung im Lichte der Bibel? Was kann die Kirche konkret dazu beitragen? Was kann jeder Gläubige dazu tun? Aus der Erfahrung eines Seelsorgers und Psychotherapeuten wird in dieser Schrift anhand von Beispielen und Zeugnissen geschildert, wie jeder Christ nicht nur durch seine Kompetenz, sondern auch durch sein Gebet und seine guten Werke zum Heilungsauftrag Christi und seiner Kirche beitragen kann.
— Das haben früher Mönche noch gewusst. «Zwischen 250 und 500 nach Christus lebten in den Wüsten Ägyptens und Syriens Einsiedler, denen die Volkskirche des Römischen Reiches zu bürgerlich und zu oberflächlich war» schreibt Anselm Grün in seiner wunderbaren Kleinschrift «Lebenshilfe aus der Stille». Und er sagt: «Der religiöse und der psychologische Weg klafften für die Mönche noch nicht auseinander».
Der Esoteriker Thorwald Dethlefsen schliesslich äussert sich aus einem «völlig anderen Blickwinkel» in seinem brillant geschriebenen Buch «Schicksal als Chance» zur Heilung folgendermassen: «Denn Heilen ist immer Heiligen und berührt eine der wissenschaftlichen Medizin unbekannte Dimension.» … «Heilen ist immer ein priesterlicher Akt, der jenseits der Stofflichkeit sich vollzieht.» Damit negiert er aber die wissenschaftliche Medizin nicht.
«Medizinische Therapie hat ihre Berechtigung und ihren Segen in der notwendigen Intervention, hat aber dennoch nichts mit Heilung zu tun.» —
Pedro Arrupe,langjähriger Generalorberer der Jesuiten, war tatsächlich Zeuge einer Wunderheilung in Lourdes. Nachfolgend, was er darüber berichtet, in der Kleinschrift «Erfahrungen mit der Eucharistie»: «Eine meine Schwestern rief:»Schaut den armen Jungen im Rollstuhl!»
… Die Mutter beeilte sich, ihren Platz in der vordersten Reihe einzunehmen, dort, wo der Bischof mit dem Allerheiligsten in der Monstranz vorbeikommen würde. … Der Bischof machte mit der Monstranz das Zeichen des Kreuzes, da erhob sich der junge Mann geheilt von seinem Rollstuhl. Die Umstehenden schrieen voller Freude: «Ein Wunder! ein Wunder!» …Da ich eine Spezialerlaubnis hatte, konnte ich nachher bei der ärztlichen Untersuchung dabei sein. Der Herr hatte ihn wirklich geheilt. Ich bin unfähig, euch jetzt zu schildern, was ich in jenen Momenten fühlte und dachte.» Die katholische Kirche anerkennt nur körperliche Heilungen als Wunder! Vermutlich gibt es eine solche Wunderheilung nur einmal auf eine Million Pilger (oder noch mehr!), wenn man das «statistisch» betrachten will. Und wenn einem dann noch das Portemonnaie gestohlen wird in Lourdes, wie dies der Ehefrau von Professor Balthasar Staehelin passiert ist, hat man wohl wenig «heilige» Gefühle an diesem Pilgerort. Und doch: Alle, vor allem, die Kranken,kehren irgendwie «anders» («heiler», «vertrauensvoller», «gestärkter»; vielleicht findet einer der Blog-LeserInnen das «richtige» Wort dafür!) von Lourdes zurück. «Verwandelt» würde ich nicht sagen!
Zur Pfingstmission: Der oben erwähnte Junge hatte Kinderlähmung. Ich erinnere mich noch sehr gut, als ein junges, hübsches Mädchen bei uns in der Pfingstmission Zürich, auch die Kinderlähmung bekam. Wie am Schluss der Versammlung alle aufstanden und wie, mit erhobenen Händen zum Halleluja, gebetet wurde für dieses Kind. Mit einer solchen ehrlichen Inbrunst, dass diese sozusagen fast stofflich («Wind»?) wahrgenommen werden konnte. Ob katholisch förmlich oder pfingstlerisch emotional völlig engagiert: Es lässt sich nichts erzwingen. Dieses Mächen wurde körperlich nicht geheilt. Etwas ganz anderes waren seinerzeit die erzwungenen «Show-Heilungen» der amerikanischen Evangelisten Hicks und Braham im Hallenstation Zürich. Ob es so etwas überhaupt noch gibt in Amerika?

Zum Schluss ein sehr schönes Zitat, diesmal von Herrn Dethlefsen aus seinem bereits erwähnten Buch: Er selber zitiert im Buch den folgenden Satz: «…aber die Welt kann am wenigsten ohne die Weisen, ohne die Heiligen, die Beter existieren. Man sieht sie nicht, man hört nichts von ihnen, doch sind wie wirklicher als alle anderen, denn sie sind die einzig Beständigen.»
Schön, oder?