Warum unsere Pfarrer ihr theologisches Wissen verstecken

Natürlich wissen unsere landeskirchlichen Pfarrer, dass Jesus nie trockenen Fusses über den See Genezareth gegangen ist, dass er den Lazarus nicht vom Tode erweckte, als dieser schon stank, dass die sogenannte Weihnachtsgeschichte eine schöne Legende ist und etwa so viel historischen Gehalt hat wie das Märchen vom Schneewittchen. Schliesslich haben sie auf unsere Kosten sechs Jahre lang Theologie studiert. Wenn sie dabei nicht geschlafen haben, haben sie gelernt, zwischen Legenden und historischen Berichten zu unterscheiden. Warum aber predigen unsere landeskirchlichen Plappermäuler ungestraft auf unseren Kanzeln so, als hätten sie nie anständig studiert? Ich habe sie gefragt. Hier einige ihrer Antworten:

Erstens: «Stellen Sie sich die einfachen Leutchen vor, denen ich predigen muss. Diese würden niemals verstehen, wenn ich ihnen sagte, dass es in der Bibel viele Legenden gibt.» (Klar, wenn man sie über hundert Jahre lang schamlos angelogen hat.)
Zweitens: «Die Menschen wollen gar nicht informiert werden. Sie wollen bestätigt werden in ihren Vorurteilen. So schafft man sich eine gewogene Predigthörerschaft.»
Drittens: «Es gibt viele Legenden in der Bibel. Wenn ich erst anfange zu unterscheiden zwischen historischen Berichten und Legenden, kann ich nicht mehr predigen.»
Viertens: «Ich halte es mit Karl Barth. Für ihn sind diese Unterscheidungen unnötig.»
Fünfstens: «Die Leute erwarten gar nicht, dass ich sie richtig informiere. Das bringt nur Unruhe in die Gemeinde.»

1: Kommentar von Robert Lau – 17.09.2008

Sehr geehrter Herr Hollenweger,
ja, auch die Osterberichte sind nach der neutestamentlichen Wissenschaft Legenden. Siehe dazu: Rudolf Bultmann, Theologie des Neuen Testaments, S. 48. Trotzdem gibt es landeskirchliche Pastoren, die das leere Grab bezeugen und keine „Plappermäuler“ sind. Es gibt sogar solche, die von der „ansteckenden Freude des lebendigen Jesu“ erzählen können. Ihre Liste von Antworten könnte also noch verlängert werden.

2: Kommentar von Matthias A. Weiss – 26.09.2008

Sehr geehrter Herr Hollenweger,
zu Ihrer Frage: Ich weiss es auch nicht. Ich selbst habe das das ehemaliger ev.-ref. Pfarrer – und auch jetzt: als freischaffender Theologe – nie verstanden.
Zu den Antworten meiner KollegInnen: Schade! Hätte mehr von ihnen erwartet. Aber auch: Wie gross ist doch immer noch die Angst, dass man/frau etwas Falsches sagen/machen/unterlassen/nicht sagen etc. könnte. Wirklich Schade!
Als ich selbst noch im Pfarramt war, war ich darauf bedacht, den Menschen Ihren (Selbst-)Wert zu geben, Sie zu stärken und zu (noch) kritischeren ZeitgenossInnen anzustacheln.
Und auch jetzt, als Theologe, der vor allem Hände auflegt, führe ich diese Tradition weiter.
Es muss aber (leider) auch gesagt werden – und da gebe ich dem/r KollegIn Nr. 2 ein Stück weit Recht: Oft wollen die Menschen gar nicht weiterkommen. Man/frau müsste ja etwas ändern. Sad but true.

3: Kommentar von Dave Büttler – 18.07.2009

hm… Sehr geehrter Herr Hollenweger. Sie schreiben kluge Dinge! 🙂 Ein nicht ganz einfaches Dilemma in unserem Beruf, auch als Religionslehrer für Kinder an der Schule. Ich finde eine kritische Sichtweise auch sehr sinnvoll, allerdings bleiben die Geschichten der Bibel ein Stück weit ein Mysterium. Zum Beispiel soll es heute ja auch Leute geben, die über Feuer laufen können oder Wunderfakire und Shaolin-Mönche. Aber ein kritischer Geist ist auf jeden Fall angebracht 🙂

4: Kommentar von Martin – 03.01.2010

Woher wissen Sie denn, daß Jesus nie über’s Wasser gelaufen ist und Lazarus nicht auferweckt hat? Das scheint mir doch auf einem Postulat zu beruhen, daß es keine übernatürlichen ‹Wunder› gibt. Ein Postulat ist aber kein sicheres Wissen. Man kann es auch ein Vorurteil nennen.
Ist dann die Auferstehung Jesu auch nicht wahr?
Warum reden wir dann überhaupt noch über Christentum?

5: Kommentar von Oscar Rufer – 31.08.2010

Nehmen Sie es mir nicht übel, dass ich jetzt auch noch zur schönen Legende «Weihnachtsgeschichte», zum stinkenden Lazarus und zu den Plappermäulern etwas sagen möchte. Ich habe früher, wenn die landeskirchlichen Pfarrer kritisiert wurden (Sie waren nicht gemeint, das möchte ich hier ausdrücklich erwähnen, auch wenn Ihnen das vermutlich egal wäre!), insbesondere von evangelikalen Kirchgängern (nicht nur aus meiner Familie) diese immer verteidigt. Ich meinte dazu, keinem Menschen würde es einfallen, einem Mathematiker, einem Germanisten oder gar einem Astrophysiker drein zu reden, ihn zu kritisieren oder gar zu korrigieren. Meine einfache Begründung war: Die Theologen sind auch Hochschulabsolventen, genau wie die drei erwähnten Akademiker. Wenn auch alle mit sehr unterschiedlichen Voraussetzungen! Nun ist es aber so, dass das, was den Kirchgängern gepredigt wird, authentisch sein sollte. Die «Plappermäuler» meinten Sie wohl nicht wortwörtlich, und so konnte Ihnen, egal wie Sie es wirklich meinten -leider! – nichts Schlimmeres passieren, als dass ein «Aufschrei» seitens der reformietern Pfarrer ausblieb! «Kismet!»
Also, obwohl theologisch überhaupt nicht geschult, geht es mich sehr wohl etwas an, WAS die Pfarrer WIE von den Kanzeln erzählen, gemäss Ihren Äusserungen zum Thema «Warum unsere Pfarrer ihr theologisches Wissen verstecken». Von daher kann also ein Laie und erst recht ein Prediger/Pastor – und diesbezüglich müsste ich meine vehemente Verteidigung der Theologen überprüfen – etwas richtiger (wohlverstanden ohne Anführungszeichen!)interpretieren aus der Bibel, als ein Pfarrer.
Thorwald Dethlefsen konmmt mir da wieder einmal zu Hilfe bei dieser Thematik «Legende oder historische Berichte» mit seinem Taschenbuch «Schicksal als Chance»: «Denn unabhängig von den Berechnungen der Astronomie erlebt Tag für Tag der Mensch, dass beispielsweise die Sonne am Morgen aufgeht und am Abend untergeht. Dieses Erlebnis ist für die Psyche des Menschen viel wichtiger als das funktionale Wissen, dass die Erde um die Sonne kreist. Dies kann der Mensch psychisch nicht erleben, daher ist es für ihn völlig irrelevant.»
Was hat denn das, ums Himmels-Gott-Willen, mit Theologie und mit Ihrem BLOG zu tun?
Ganz einfach: Gehen Sie, Herr Hollenweger, natürlich mit Ihrer Frau, am 24. Dezember 2010 in die Mitternachtsmesse in die katholischer Mutterkirche St.Peter und Paul beim Stauffacher in Zürich. Setzen Sie sich in der Mitte und mitten unter die Leute – nicht hinten oder auf der Seite – und lassen Sie den Chor und das Orchester und diese Feierstunde, mit der Krippe neben dem Altar, auf sich wirken. Und singen Sie mit! Einfach als Christ unter Christen. Und jetzt wissen Sie auch was ich meinte mit dem Zitat von Herrn Dethlefsen «Dieses Erlebnis ist für die Psyche des Menschen viel wichtiger, als das funktionale Wissen…»
Meine «Theologie» ist ganz einfach. Wenn ich in der Bibel lese, dann praktisch nur vom Weisheitslehrer Jesus Sirach. Und die Stellen, die ich mir merken will, die kann ich 1:1 übernehmen: sie bedürfen keinerlei Interpretation. Unter vielen anderen: «Sei nicht misstrauisch gegen die Gottesfurcht,/ und nahe ihr nicht mit zwiespältigem Herzen. Versag dir nicht das Glück des heutigen Tages;/ an der Lust, die dir zusteht, geh nicht vorbei! Er bildete ihnen Mund und Zunge, Auge und Ohr, und ein Herz zum Denken gab er ihnen.»
Jetzt wünsche ich Ihnen alles Gute und schliesse mit der Feststellung, dass Sie wohl nicht viel «anfangen» können mit mir, denn ich ärgere mich nicht, will nichts besser wissen und akzeptiere einfach, dass «viele Wege nach Rom führen!» Ihr ehemaliger «Unzgi-Schüler» Oscar Rufer der mal abwesend war in einer «Unzgi-Stunde» und dann als einziger eine Frage nicht beantworten konnte. Alle anderen streckten auf. Ich verstand die Welt nicht mehr… Unterdessen verstehe ich sie sehr wohl…. Da hatte mein Sekundarschullehrer Gian Paul Ganzoni von Pontresina ein schönes «Gschpüri» für mich, als er mich einmal in einer Stunde ansprach mit den Worten: «Ora et labora!» Dies selbstverständlich integrierend und keinesfalls ausgrenzend gegenüber den anderen SchülerInnen. Das müsste ich ja zwar gar nicht erwähnen. Alles andere wäre ja «biräweich» und käme wohl keinem normalen Lehrer in den Sinn! Gute Pädagogen können «lesen» im einen oder anderen jungen Menschen! Herr Ganzoni war ein erzprotestantischer Engadiner! Aber, natürlich, stammt das «ora et labora» halt trotzdem von Benedikt von Montecassino!
IN NOME DEI PADRI, DEI FIGLI E DEL SPIRITO SANTO. AMEN! SALVE E SALVE REGINA!

6: Kommentar von Oscar Rufer – 01.09.2010

Eine Korrektur zum Schluss. Es sollte heissen:
In nomine Patris et Filii et Spiritus Sancti. Amen.
Soviel Sprachgefühl habe ich denn doch, dass ich merke, wenn etwas nicht stimmt. Auf italienisch, nach 1 1/2 Jahren Mailand, sollte ich es schon richtig schreiben können, nämlich: In nome del Padre, del Figlio e dello Spirito santo.